Im Zusammenhang mit dem zunehmenden Fachkräftemangel gelten IT-Spezialisten als klassisches Beispiel für die Berufsgattung, die besonders schwierig zu rekrutieren ist. Doch wie schlimm steht es wirklich um diese Experten? Wir sprechen mit einem, der es wissen muss: Yeshe Sherpa ist Geschäftsführer der ONE Agency und rekrutiert seit 14 Jahren IT- und SAP-Spezialisten für nationale und internationale Unternehmen.
Wie schätzen Sie die aktuelle Arbeitsmarktsituation im IT-Bereich ein?
Tatsächlich belegen Studien, wie die vom Verband ICT-Berufsbildung, dass bis in Jahr 2024 rund 25’000 Fachkräfte in diesem Bereich fehlen werden. In unserer täglichen Arbeit spüren wir sehr stark den „Kampf um die besten Talente”. Unternehmen leiden unter der Tatsache, dass Bewerbungen von hochqualifizierten IT-Spezialisten sehr rar sind, da diese bereits eine Anstellung haben und grundsätzlich zufrieden sind. Die Digitalisierung schafft immer mehr zusätzliche Jobs in der IT-Branche, was diese Situation noch verschärfen wird. Die Gewinner dieses engen Arbeitsmarktes sind die IT-Spezialisten selber, die sich bei entsprechender Qualifizierung die Jobs regelrecht aussuchen können. Wir bezeichnen sie darum gerne auch als die „Könige des Arbeitsmarktes”. Heute müssen sich die Unternehmen bei den Spezialisten bewerben und nicht umgekehrt. Firmen, die in der Rekrutierung nur auf Inserate setzen, werden im Kampf um die besten IT-Talente scheitern.
Sehen Sie bei diesen Herausforderungen Unterschiede zu unseren Nachbarländern? Haben wir hier andere Rekrutierungsthemen als im nahen Ausland bzw. eine andere politische Situation?
Studien zeigen, dass auch unsere Nachbarländer mit dem Fachkräftemangel v.a. im Bereich MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) kämpfen. Wir analysieren laufend die Situation u.a. in Deutschland und Österreich. Im gesamten DACH-Raum herrscht bei Unternehmen ein grosser Bedarf an erfolgsbringenden Rekrutierungsstrategien im IT-Bereich.
Welche Rolle spielen Alter und Geschlecht bei der Rekrutierung? Gibt es da merkliche Unterschiede?
Bei der Besetzung der aktuellen IT-Vakanzen, sehen wir, dass es für die Unternehmen primär darum geht, die Vakanz mit einer qualifizierten Person zu besetzen, egal ob es sich um einen Mann, eine Frau oder Transgender handelt. Viele Unternehmen würden sich aber über mehr weibliche Bewerberinnen freuen. Grundsätzlich ist es aber so, dass die Unternehmen aufgrund der fehlenden Bewerbungen von IT-Spezialistinnen immer noch vorwiegend auf Männer setzen „müssen”. So haben wir beispielsweise letztes Jahr nur rund 11% Frauen vermittelt. Auch beim Alter wird offiziell nicht diskriminiert. Jedoch ist es aus unserer Sicht eine Tatsache, dass es Bewerber unter 50 Jahren deutlich leichter haben, eine neue Stelle zu finden. Dies hängt oft auch damit zusammen, dass ältere Bewerber nicht immer über die gewünschten, ganz aktuellen technologischen Skills verfügen. Ausnahmen gibt es aber zum Glück; so ist beispielsweise kürzlich ein SAP-Berater in Pension gegangen, den wir noch mit 63 Jahren erfolgreich vermitteln konnten.
Welche Auswirkungen hat Ihrer Meinung nach die bevorstehende Einführung des „Inländervorrang light“ auf die Rekrutierung von IT-Fachkräften allgemein und auf Ihre Arbeit im Besonderen?
Zukünftig müssen Unternehmen in Berufsarten mit mindestens 8 Prozent Arbeitslosigkeit offene Stellen zuerst dem Arbeitsvermittlungszentrum RAV melden. Gemäss Feedbacks von Unternehmen bedeutet der “Inländervorrang light” in einer ersten Phase v.a. mehr Aufwand, da eine flüssige Kommunikation und Koordination zwischen Arbeitgebern und RAV gewährleistet sein muss. Tatsächlich ist es so, dass die Unternehmen im aktuellen Markt auf IT-Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sind. Unsere Arbeit in der Rekrutierung von IT-Spezialisten wird aktuell jedoch nicht tangiert, da die Arbeitslosenquote in diesem Bereich weit unter dem Grenzwert zur Meldepflicht liegt.
Welche digitalen Kanäle setzen Sie für die Rekrutierung ein?
Als IT-Rekrutierungsspezialist müssen wir alle erdenklichen Kanäle nutzen, um im Kampf um die besten Talente zu gewinnen. Unsere Expertise ist die Direktansprache von Spezialisten. Im kandidatengetriebenen IT-Arbeitsmarkt, wo es kaum Aktivbewerbungen gibt, ist diese sehr aufwändige Methode unabdingbar. So erweitern wir täglich unser über Jahre aufgebautes IT-Spezialisten-Netzwerk. Dank der Digitalisierung haben sich ganz neue Kanäle in der Spezialisten-Rekrutierung aufgetan. Auf Plattformen wie z.B. XING aktiv zu sein, ist matchentscheidend in der Rekrutierung. Deswegen sind alle unsere Mitarbeiter auch Social-Media-Profis, denn nur mit dem richtigen Know-how kann man diese Plattformen erfolgreich nutzen.
Welche Rolle spielen die Lösungen von XING um die passenden IT-Professionals zu finden?
XING ist insbesondere im DACH-Raum eine enorm wichtige Plattform für IT-Spezialisten. Es bietet Professionals die Chance, zu netzwerken und sich nebenbei unverbindlich potentiellen neuen Arbeitgebern zu präsentieren. Auch die Recruiter-Welt wurde mit XING auf den Kopf gestellt. Was früher die Visitenkarten-Sammlung von gut vernetzen älteren Branchenkennern war, steht heute auf XING jedem interessierten Recruiter offen. Das Netzwerk wächst täglich und die Einträge sind dynamisch und damit aktuell. XING ist daher in der Rekrutierung nicht mehr wegzudenken.
Welche Tipps können Sie anderen HR-Professionals geben, um die passenden IT-Mitarbeitenden zu finden?
Die erfolgreiche Rekrutierung von IT-Spezialisten beginnt im Kopf. HR-Professional und Unternehmen müssen umdenken und sich bewusst werden, dass sich im heutigen Arbeitsmarkt die Firma beim Spezialisten bewirbt und nicht umgekehrt. Rekrutierungsprozesse müssen daher unkompliziert, schnell und auf die Spezialisten zugeschnitten sein. Zudem ist es unerlässlich sein eigenes Unternehmen über ein gutes Employer Branding entsprechend auf dem Markt zu positionieren. Gefragt sind insbesondere Unternehmen, in welchen die IT eine strategische Rolle spielt. Spannende Aufgabengebiete, Entwicklungsmöglichkeiten, ein moderner Arbeitsplatz und nicht zuletzt attraktive Anstellungsbedingungen sind ausschlaggebend.
Doch wie kommt man überhaupt an die Spezialisten ran, wenn diese ja gar nicht aktiv auf der Suche sind?
Über Direktansprachen! Ich würde daher das Geld für teure Inserate weitestgehend sparen und stattdessen in einen professionellen Direct Search investieren. In unserer täglichen Arbeit setzen wir auf diesen sehr direkten Weg. Den passenden Kandidaten findet man in der Regel jedoch nur über ein grosses Netzwerk, was wiederum jahrelange Aufbauarbeit und tägliche Knochenarbeit im Research von IT-Spezialisten erfordert.
Link zum Interview auf XING: https://recruiting.xing.com/blog/detail/It-Spezialisten-rekrutieren?sc_o=recruiting_article_recommendation_search_box